Geschichte des Tango Argentino
Ein Kurzabrisse der letzten 150 Jahre.
1870. Buenos Aires am Rio de la Plata. Hafenstadt.
In Europa herrscht Krise und Hungersnot. Eine angekündigte Landreform lockt in den nächsten Jahrzehnten 6 Mio. Einwanderer nach Argentinien. Die Landreform scheitert am Widerstand der argentinischen Landbarone und die Einwanderer stranden am Stadtrand von Buenos Aires. Die Einwanderer kamen aus ganz Europa, vor allem aus Italien und Spanien, aber auch aus Deutschland, Frankreich, Polen, Böhmen und Russland. Zuvor wurde die Sklaverei abgeschafft und viele Afrikaner, hauptsächlich Angolaner, fanden sich „auf der Strasse“ wieder. Dazu kamen die argentinischen Viehhirten, die Gauchos, die durch Einzäunung der Viehweiden arbeitslos geworden sind und auch in den Vorstädten von Buenos Aires eine neue Zukunft, sprich Arbeit, suchten. Ähnliches geschieht auf der anderen Seite des Rio de la Plata, in Montevideo, Uruguay. So treffen sich hier die unterschiedlichsten Kulturen ohne Vergangenheit und ohne Zukunft und bilden einen Schmelztiegel, aus dem der Tango entsteht. Dessen Namensherkunft übrigens immer noch nicht geklärt ist, wahrscheinlich aber von den afrikanischen Tanzveranstaltungen, die Tang-Go genannt wurden, herrührt.
Candombe aus Afrika, Mazurka aus Italien, Jota aus Spanien, Polka aus Böhmen, Walzer aus Österreich, Musette und Paso Doble aus Frankreich, … jeder trug ein Stück zur Entwicklung der Tangomusik und des Tangotanzes bei. Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Tango ist die Integration des Bandoneón, einer Handorgel, weiterentwickelt aus der Concertina, des Heinrich Band aus Krefeld, Deutschland. Ursprünglich als Orgelersatz für ärmere Kirchgemeinden gedacht, war sein melancholischer Klang für den Tango geschaffen.
Erste musikalische Struktur, die sich aus dem Wirrwarr der Kulturen entwickelte, war die Milonga. Noch als fröhlicher Tanz mit starkem rhythmischen Charakter des Candombe und der Guajira aus Kuba wandelte sie sich um die Jahrhundertwende in den langsameren, erdigeren Tango. Beide im 2/4 Takt. Auch der 3/4 Takt wird als Tango-Vals gespielt.
Anfangs von der argentinischen Oberschicht verachtet, seine Existenz sogar negiert, fand er in den 20er Jahren Einzug auch im Stadtzentrum und so auch in den höheren Musikschulen. So begannen sich auch „besser ausgebildete“ Musiker mit dem Tango zu beschäftigen und entwickelten die raffinierte Musik mit bodenständigem Charakter, die wir heute so schätzen. Der Tango ist jetzt geschliffener und nennt sich Tango de Salon.
Seinen Ruf als verruchter Tanz, der nur in Bordellen getanzt wird und wo die Frau eine Prostituierte ist, erhielt der Tango aus der Tatsache, dass die Auswanderung im 19. Jahrhundert noch gefährlich war und deshalb meistens nur Männer an den Rio de la Plata auswanderten. Dazu kamen die Afrikaner und die Gauchos, praktisch alles Männer. So kamen bald 6 Männer auf eine Frau. Mitnichten ist der Tango aber im Bordell entstanden, wenngleich diese Geschichten wahr sind. Vielmehr kommt er aus den Hinterhöfen der Conventillos, billigen Absteigen, in denen die Bewohner sich langweilten und so begannen zu musizieren und zu tanzen.
Während der Präsidentschaft von Juan D. Perón wurde der Tango staatlich gefördert und so bald mal von der ganzen Bevölkerung getanzt. In den sechziger und siebziger Jahren verschwand der Tango infolge politischer Unruhen, Versammlungsverboten, Militärdiktaturen und dem Einfluss amerikanischer Musik fast vollständig. Viele Musiker aber gingen ins Exil und versuchten dort den Tango weiterleben zu lassen oder sogar weiterzuentwickeln. So entwickelte Astor Piazzolla Ende der sechziger Jahre seinen Tango Nuevo. Erst in den 80er Jahren wurde er wiederentdeckt, nicht zuletzt von europäischen Tänzern auf der Suche nach seinen Wurzeln, und bald bildeten sich die ersten Tangoschulen und Tangoszenen in Paris, Amsterdam, Berlin und Zürich.
In den letzten 20 Jahren haben sich sowohl die Musik wie auch der Tanz weiterentwickelt und es entstanden interessante Strömungen, die wir NeoTango nennen, deren Zukunft noch nicht absehbar ist. Geblieben ist, und das wird sich wahrscheinlich nie ändern, die tiefe Seele der Musik und dass der Tanz ein intensiver Dialog, stark von der Improvisation geprägt, mit ungewissem Ausgang ist.